Liebe ist so viel mehr Read online




  Inhaltsverzeichnis

  Von Lee Winter außerdem lieferbar

  Teil 1: Masken

  Teil 2: Gefallene Masken

  Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen

  Über Lee Winter

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  Von Lee Winter außerdem lieferbar

  Nichts als die ungeschminkte Wahrhheit

  Aus der Rolle gefallen

  Requiem mit tödlicher Partitur

  TEIL 1: MASKEN

  REQUIEM

  Natalya Tsvetnenko betrat die Wellness-Oase in der Spittelberggasse und schob ihre Sonnenbrille über die Stirn nach oben. Das beruhigende Geräusch von plätscherndem Wasser erfüllte den Eingangsbereich eines der luxuriösesten Spas in Wien. Natalya hatte ihn während der drei Jahre, die sie nun in der Stadt wohnte, sehr zu schätzen gelernt. Ihre Besuche hier waren ein guter Ausgleich zum stundenlangen Cellospiel und ihrer Arbeit als Orchestermitglied der Wiener Philharmoniker.

  Einige ihrer gesundheitlichen Probleme und Verletzungen stammten noch aus ihrer Vergangenheit, in der sie als Auftragskillerin unter dem Namen Requiem gearbeitet und oftmals gegen ihre Konkurrenten gekämpft hatte. Darüber sprach sie natürlich nicht gerne. Auch deswegen war die Wellness-Oase perfekt für sie, denn die hervorragend ausgebildeten Physiotherapeuten und Massagespezialisten waren zudem für ihre Diskretion bekannt. Und Natalya zahlte gut für ihre intensiven Ganzkörpermassagen, die wahre Wunder für ihre schmerzenden Muskeln und Gelenke bewirkten.

  Am Empfang wurde sie von Lotte begrüßt, der Besitzerin des Spas, deren herbe Gesichtszüge ebenso gut an diesen Ort passten, wie der weiße Kimono aus Waffelmusterstoff und die japanischen Sandalen, die auch ihre Angestellten trugen.

  »Christiane erwartet Sie bereits in ihrem bevorzugten Zimmer, Frau Tsvetnenko.« Lotte deutete mit einer eleganten Handbewegung in die entsprechende Richtung.

  Natalya bedankte sich mit einem Nicken und machte sich auf den Weg zu dem Raum, der zu ihrer Freude etwas von den anderen Räumlichkeiten abgelegen war. Das gab ihr ein Gefühl von Sicherheit.

  Sie ging den weißgrau gestrichenen Gang hinunter zu Zimmer Nummer zwölf. Auf dem Boden vor der Tür stand eine traurige, kleine Alocasia sanderiana.

  Natalya beugte sich hinab, um sie genauer zu betrachten, und sah ihre Vermutung bestätigt. Zu wenig Wasser. Missbilligend kniff sie die Lippen zusammen. Sie würde Christiane darauf aufmerksam machen, denn sie fand es enttäuschend, wenn nicht auf die Details geachtet wurde.

  Als sie in das cremeweiße Zimmer trat, umfing sie sofort der angenehme Duft von Räucherstäbchen. In einer Ecke des Zimmers stand ein Tontopf mit heißen Steinen. Vielleicht für den nächsten Kunden, da Natalya kaum Interesse an den neuesten Entspannungstrends hatte.

  Ihr Blick wanderte über das Mobile aus Peace-Zeichen, das von der Decke hing, dann über die gerahmten Bilder von Bambuswäldern und eine kleine, bronzene Buddhastatue auf dem Fenstersims unter dem Holzrollo. Sie fragte sich, ob Christiane wohl wusste, dass der Buddha in etwa genauso japanisch war wie der Kimono-Abklatsch, den sie als Arbeitskleidung trug.

  Ihre Masseurin drehte sich um, als Natalya eintrat, schenkte ihr ein höfliches Lächeln und deutete dann auf die Liege. Ihr blondes Haar war im Nacken zu einem perfekten Knoten zusammengebunden, der im warmen Licht des Raums glänzte.

  »Machen Sie sich gerne schon einmal frei, Frau Tsvetnenko. Ich bin in fünf Minuten wieder da.«

  Natalya nickte, schlüpfte aus ihrer Kleidung, legte ihre Lederjacke, die schwarze Leinenhose, die gestärkte Bluse und ihre Unterwäsche zu einem sauberen Stapel zusammen, und stellte die polierten, schwarzen Halbstiefel akkurat unter den Stuhl in einer Ecke des Raums.

  Sie machte es sich auf der Liege bequem und legte ein Handtuch über sich, um zu signalisieren, dass sie bereit war. Natalya schämte sich nicht für ihre Nacktheit, insbesondere weil Christianes erfahrene Hände dadurch leichteren Zugang zu ihren verspannten Muskeln bekamen, um die vom vielen Sitzen verursachten Schmerzen in ihrem Gesäß und dem unteren Rücken lindern zu können.

  Mit Schamgefühl hatte Natalya noch nie zu kämpfen gehabt. Wenn sie sich morgens im Spiegel betrachtete, ihre Narben anschaute, dann sah sie Stärke, Kontrolle, Disziplin und Schönheit in ihren Muskeln, den kräftigen Schultern und ihrem glänzenden, glatten, schwarzen Haar. Und manchmal sah sie auch schmale Hände, die sich von hinten um ihre Taille schlangen und sie an einen ebenso nackten Körper zogen, der gerade warm aus der Dusche kam.

  Ein Lächeln umspielte Natalyas Lippen bei dieser angenehmen Erinnerung.

  Sie konnte kaum glauben, dass schon drei Jahre vergangen waren, seit sie sich hier niedergelassen hatte, nachdem sie ein Jahr durch ganz Europa gereist war. Vier Jahre, seitdem sie ihrem früheren Leben in Australien den Rücken gekehrt hatte. Ein Leben, das nicht im Geringsten so verlaufen war, wie sie es sich als Jugendliche erträumt hatte. Sponsoren, Bekannte ihrer Stiefmutter Lola, die sich als Mitglieder einer Mafiafamilie aus Melbourne entpuppt hatten, hatten ihr Cello-Stipendium in Wien finanziert.

  Und Natalya hatte dafür einen hohen Preis bezahlt. So kam es, dass sie zu der tödlichsten aller Waffen ausgebildet worden war, denn niemand vermutete hinter der Fassade einer blutjungen Frau, die als Cello-Wunderkind galt, die Attentäterin einer organisierten Verbrecherbande. Dieses Doppelleben hatte sie so entsetzlich effektiv gemacht, weit über alle Erwartungen hinaus.

  Sie hatte sich für fünf Jahre verpflichten müssen. Ein fairer Gegenwert für die Investition in ihre musikalische Ausbildung. Niemand aus der Mafiafamilie hatte verstanden, warum sie ihre tödliche Arbeit freiwillig fortführte, nachdem die vereinbarte Zeit abgelaufen war. Insbesondere, da sie jeden Abend die Ohren zahlender Zuhörer mit ihrer Musik verwöhnen konnte.

  Was diese Männer mit ihren seelenlosen Augen nie verstehen würden, war die Tatsache, dass beide Berufe gleichermaßen eine Form von Sucht und Befriedigung für Natalya darstellten, der sie sich nicht so einfach entziehen konnte. Beide gaben ihr das Gefühl, eine Göttin zu sein, die Macht über ihre Untertanen und deren ängstlich schlagende Herzen ausübte. Der Fehler ihrer Auftraggeber bestand darin, sie als zwei verschiedene Personen zu sehen: Attentäterin oder Cellistin. Requiem oder Natalya.

  Sie war schon immer beides gewesen. Für sie war es so einfach – die Seite an ihr, die die jeweilige Situation erforderte, übernahm die Führung und sie passte ihr Verhalten entsprechend an. Das war auch nichts anderes, als die richtigen Schuhe für jeweils unterschiedliche Veranstaltungen auszuwählen. Wenn man sie nicht mehr brauchte, stellte man sie in den Schrank zurück.

  Doch solch philosophische Gedankengänge gehörten mittlerweile meistens der Vergangenheit an. Natalya war 45 Jahre alt und lebte weit entfernt von der dunklen Seite Melbournes.

  Inzwischen nährte sie die Seelen der Menschen, anstatt sie zu zerstören. Sie hatte ihre Wahl getroffen und nur wenig bereut. Das war der Preis, den sie gezahlt hatte, um eine kleine Maus, wie sie ihre Partnerin nannte, in ihrem Leben zu haben. Er war ihr nicht zu hoch erschienen, nachdem sie es endlich verstanden hatte.

  Natalya schloss die Augen und fragte sich, was Alison wohl gerade machte. Sie hatte erwähnt, dass sie vor dem Mittagessen noch auf einen Bauernmarkt in der Nähe ihrer Wohnung im Stadtteil Neubau gehen wollte. Neben Kochkursen nahm sie aktuell noch Violinstunden und gab Flüchtlingen in einem öffentlichen Lernzentrum im nahe gelegenen 15. Bezirk Englischunterricht. Jeder dieser Aktivitäten widmete sie sich mit dem gleichen Feuereifer.

  Für Natalya war es am Anfang nicht leicht gewesen, mit jemandem eine Beziehung zu führen, der sich so sehr von ihr unterschied. So viel Lebendigkeit, Liebe und Empathie in ihre Nähe zu lassen, war ihr schwergefallen, insbesondere, da diese
Gefühle so stark waren. Wie oft hatte Natalya schon an sich selbst gezweifelt, jemanden so nah an sich heranzulassen. Ganz zu schweigen davon, dass Alison schlampig war und ihre Schuhe nicht ordentlich hinstellen konnte, und ihre Kleidung jedes Mal einfach über die nächste Stuhllehne warf, obwohl sie genug Kleiderbügel besaßen.

  Aber Alison lachte immer nur über Natalyas entsetzten Gesichtsausdruck und neckte sie, bis sie die Unordnung ignorierte. Es hatte sich herausgestellt, dass diese Frau wirklich die Maus war, als die Natalya sie vor vier Jahren bezeichnet hatte – klein und niedlich wie sie war, hatte sie sich in ihrem Herz zusammengerollt und weigerte sich seitdem schlicht, wieder zu gehen. Was konnte eine Weltklasse-Attentäterin dem schon entgegensetzen?

  Ein kühler Lufthauch streifte Natalyas Rücken, als sich die Tür öffnete und leise wieder schloss. Christiane schob ihr das Handtuch bis zu den Oberschenkeln hinunter und Natalya hörte, wie sie das Massageöl mit den Händen verrieb, bevor sie die Finger auf ihrer Haut spürte. Die Therapeutin tastete sich langsam über Natalyas Körper, wurde dann allerdings deutlich nachdrücklicher in der Intensität. Zweimal musste Natalya sich einen Schmerzlaut verkneifen; so hatte sie Christiane nicht in Erinnerung.

  Das Klatschen auf ihrer Haut und die Wärme von Händen auf ihrem Nacken katapultierten Natalya zurück in ihre Vergangenheit. Es erinnerte sie an den ersten Mord, den sie als Sechzehnjährige mitansehen musste. Es war die Exekution eines Mitglieds der Mafiafamilie gewesen, ein Mann, der betrogen hatte und dabei erwischt worden war. Natalya konnte noch heute Lolas Hand auf ihrem Nacken spüren, die Wärme, die durch den Kragen ihrer Schuluniform drang, als sie gezwungen wurde, zuzusehen.

  »Einführungsphase«, hatte ihre Stiefmutter es genannt. Für das, was kommen würde, sobald Natalya nach Ablauf ihres Stipendiums aus Wien zurückkehren und den Pflichten gegenüber der Familie nachkommen würde. Es gehörte zu ihrer Erziehung und sollte sicherstellen, dass sie wusste, worauf sie sich einließ.

  An die meisten Gesichter dieser Lehrstunden konnte Natalya sich nicht erinnern. Doch es waren die Augen des Mannes, die ihr in Erinnerung geblieben waren. Der hoffnungslose und panische Ausdruck in ihnen hatte in Natalya den Wunsch geweckt, sich in einem Loch zu verkriechen.

  Und sie erinnerte sich auch noch an Lolas Parfüm. Natalya empfand es als sinnlich, exotisch und erregend. Mit dieser Reaktion war sie offenbar auch nicht allein, wenn sie die lüsternen Blicke der anwesenden Männer richtig deutete, mit denen sie ihre Stiefmutter bedachten, wann immer sie sich unbeobachtet fühlten.

  In Natalyas Erinnerung endete die Szene mit dem zufriedenen Murmeln der Zuschauer, als der zu Tode geprügelte Verräter schließlich seinen letzten Atemzug tat. So zeigten sie, dass es vorbei war. Es war ein Ritual, um das Entsetzen zu mildern.

  Natalya verstand das Bedürfnis nach Ritualen besser als die meisten Menschen. Ihr ganzes Leben bestand aus ritualisierten Handlungen, von ihren Dehnübungen am Morgen bis hin zu der Art, wie sie ihre Besitztümer ordentlich geraderückte, ihren MP3-Player einschaltete oder ihren Cello-Bogen hielt.

  Nachdem der Verräter getötet war, hatte ihr niemand in die Augen gesehen. Nicht einmal Lola. Und dann war Natalya auf ihr Zimmer geschickt worden, um ihre Hausaufgaben zu erledigen.

  Das Klatschen auf feuchter Haut – Lust und Schmerz – es klang immer gleich. Diese Lektion hatte Natalya im Lauf der Jahre gelernt.

  Die Massage wurde nachdrücklicher. Bestrafend. Fast … hasserfüllt.

  Alarmiert öffnete Natalya die Augen. Ein eingeölter Finger fuhr über die Narbe neben ihrer Wirbelsäule und drückte viel zu fest hinein.

  Natalya biss vor Schmerz die Zähne zusammen. Sie schaute auf die Füße ihrer Masseurin. Sie trug weiße Strümpfe in den typischen japanischen Sandalen mit den schwarzen Seidenriemen.

  »Die Pflanze im Gang braucht Wasser«, bemerkte Natalya leise. »Sie ist in einem fürchterlichen Zustand.«

  Die Masseurin brummte nur, antwortete aber nicht weiter darauf. Als würde sie den Hinweis nicht verstehen. Ihre Zehen in den weißen Strümpfen spannten sich jedoch kurz an.

  Natalya platzierte ihre Hände flach unter ihr Kinn und hob das Gesicht ein paar Zentimeter von der Kopfstütze.

  »Aus welchem Viertel von Melbourne kommst du?«, fragte sie in ihrem freundlichsten Englisch und gab damit einen Schuss ins Blaue ab. Sie schob ihre Hände langsam über die raue Oberfläche des Handtuchs zum Rand der Massageliege. »Prah …«, antwortete die Frau aus einem Reflex heraus, unterbrach sich jedoch sofort. Prahran also. Eindeutig ein Stadtteil von Melbourne.

  Die Hand auf Natalyas Rücken stoppte mitten in der Bewegung. Natalyas Muskeln spannten sich ob der drohenden Gefahr an. Ein Energieschub erfüllte sie, wie sie ihn seit drei Jahren, elf Monaten und zwölf Tagen nicht mehr erlebt hatte. Sie hatte diese Zahlen immer vor Augen, schon morgens, wenn sie die Augen aufschlug. Es war der genaue Zeitraum, seit sie zum letzten Mal als Requiem gejagt hatte.

  Sie spürte, wie ihr Alter Ego aus seinem Schlummer erwachte, sich befreite und kochender Lava gleich durch ihre Adern rauschte. Ihn ihrem Kopf hörte sie den erhabenen Rhythmus von Protectors of Earth von Two Steps From Hell.

  Sie war hellwach, als das Adrenalin sie wie ein alter, vertrauter Freund durchflutete. Dieses Gefühl hatte sie seit jener Nacht vor vier Jahren nicht mehr gespürt, in der sie das Leben eines korrupten Polizisten beendet hatte, indem sie ihn in Schweinefutter ersticken ließ. Doch noch immer konnte sie den Triumph auf der Zunge schmecken, wie auch das Gefühl der eiskalten Rache, wegen der Dinge, die er Alison, die nun zu Requiem gehörte, und ihrer Familie angetan hatte.

  Ohne Vorwarnung sprang Requiem von der Liege, schnappte sich das Handtuch, auf dem sie gelegen hatte, und verpasste der Masseurin mit dem Ellenbogen einen derart heftigen Schlag, dass sie zu Boden ging.

  Sie stellte sich über die benommene Frau, balancierte auf den Fußballen, wickelte das Handtuch mit ein paar schnellen Handgriffen zu einem festen Seil und testete dessen Spannung. Requiem musterte den zusammengekrümmten Körper auf dem Fußboden – klein, schmal und ganz sicher nicht die Österreicherin, die normalerweise hier arbeitete.

  »Wenn Christiane sich nicht in den letzten 20 Minuten einer Schönheits-OP unterzogen hat, bist du nicht sie«, meinte Requiem kalt. »Wer bist du?«

  Die Frau starrte sie trotzig an.

  Requiem versetzte ihr einen kleinen Tritt in die Rippen. »Raus mit der Sprache.«

  Die kleine, drahtige Asiatin taxierte Requiem mit zornigen, dunklen Augen. Besonders beunruhigt schien sie allerdings nicht zu sein. Es schien eher, als hätte sie genau das erwartet.

  »Wo ist Christiane?«

  »Im Wandschrank. Sie wird ziemliche Kopfschmerzen haben, sobald sie wieder aufwacht.« Der Tonfall der Frau und der Blick in ihren Augen waren höhnisch.

  »Wer bist du?«, wiederholte Requiem und Wut mischte sich in die Drohung.

  Schweigen.

  Requiem trat mit dem Fuß gegen die Nase der Frau, deren Kopf durch den Aufprall zur Seite geschleudert wurde. Ein Schwall Blut ergoss sich auf ihren weißen Kimono.

  Immer noch keine Antwort. Stattdessen ließ sie ihren Blick langsam und durchaus anerkennend über Requiems nackten Körper gleiten, bis sie ihre Augen erreichte.

  Sie lächelte. »Ich bin jemand, der eine Theorie überprüft.« Sie wischte sich über die Nase und betrachtete das Blut auf ihren Fingerspitzen. »Wie ich sehe, hast du deine Fähigkeiten nicht eingebüßt.«

  »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.« Requiems Stimme senkte sich unheilvoll. Drohend hielt sie das straff gespannte Handtuch mit beiden Händen vor sich. Jeder, der auch nur einen Hauch Selbsterhaltungstrieb besaß, würde nun die Flucht ergreifen.

  Die Asiatin tat das nicht. Stattdessen legte sie den Kopf in den Nacken und musterte Requiem erneut. »Eine Frau, die aus einem Handtuch eine Schlinge macht, will mich glauben lassen, dass sie nichts übers Töten weiß?«, erwiderte sie mit ironischem Unterton. »Dass sie nicht Australiens berüchtigtste Auftragsmörderin namens Requiem ist? Eine Frau, die die Polizei jahrelang nicht aufspüren konnte? Nicht, dass sie sich viel M
ühe gegeben hätte. Aber ich habe dich gefunden.«

  »Ich bin Cellistin«, sagte Requiem und verzog spöttisch den Mund. Sie beugte sich hinunter und schnipste mit den Fingern gegen die blutige Nase der Frau. »Orchester.« Schnips. »Wiener.« Schnips. »Philharmoniker.« Schnips. Wenn Blicke töten könnten, würde die Frau nicht mehr leben. »Das kann dir hier jeder bestätigen.«

  »Das glaube ich nicht.« Das Lachen der Asiatin klang hell und erstaunlich amüsiert dafür, dass ihr immer noch Blut aus der Nase tropfte.

  Requiem war verwirrt. Ihr Gesicht musste höllisch wehtun, dennoch lächelte die andere immer noch.

  »Na ja, du bist mehr als das, oder?«, fuhr die Frau fort. »Ich weiß, dass du Dutzende von Kriminellen getötet hast, bevor du dich abgesetzt hast.«

  »Letzte Chance.« Requiem spannte das Handtuch so straff, dass ihre Oberarmmuskeln deutlich hervortraten, die dank der täglichen zwei Stunden Training immer noch mehr als gut in Form waren. Ihre Stimme wurde erschreckend sanft. »Wer. Bist. Du?«

  »Ich will dich anwerben.«

  Requiem warf das Handtuch zu Boden und ging vor ihr in die Hocke. Mit Schwung riss sie den Kimono auf, doch die Asiatin trug nur einfache, weiße Unterwäsche darunter. Zügig tastete Requiem sie nach Abhörgeräten ab, hob sie ein wenig an und schob die Finger unter ihren BH, um ihren Rücken abtasten zu können.

  Dann glitten ihre Hände tiefer, fuhren über den Schritt, die Oberschenkel und die Waden. Als sie nichts fand, grub sie die Finger in die langen, schwarzen Haare der Frau und suchte auch den Bereich hinter ihren Ohren ab. Immer noch nichts.

  Verärgert stieß Requiem die Frau hart nach hinten zu Boden, bevor sie sich auf sie setzte.

  »Noch mal von vorne«, sagte sie kühl und klemmte die Knie der Frau mit ihren Oberschenkeln ein. »Wer zum Teufel bist du und warum dringst du hier in meine Privatsphäre ein.«

  Statt einer Antwort ließ die Asiatin ihren Blick erneut genüsslich über Requiems Körper wandern. An der Art, wie sie sie musterte, lag etwas Vertrautes. Als sie schließlich zum Sprechen ansetzte, klang sie ein wenig atemlos.